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Davor – dazwischen – dahinter. Malerei von Nicola Hanke

Verena Borgmann

Die Gemälde von Nicola Hanke wirken anziehend – sie sind von ausgewogener Farbigkeit, technisch präzise, realistisch, ja von fast haptischer Qualität, und wirken auf eine Art vertraut, die neugierig macht. Sie zeigen banale Alltagsgegenstände, aber immer nur Ausschnitte und nie den Blick auf das große Ganze. Wie mit einem Zoom richtet die Künstlerin ihren Fokus auf Gegenstände, denen normalerweise keine oder höchstens beiläufige Aufmerksamkeit zuteil wird. Kleine Details nehmen bei ihr den ganzen Bildraum ein: unachtsam hingeworfene Handtücher, zerwühlte Bettwäsche, zufällig übereinander liegende Decken, wahllos nebeneinander hängende Gardinen. Die Ausschnitte bilden ein Konglomerat aus Farben, Formen und Mustern. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nichts in diesen Bildern auf Zufall beruht – im Gegenteil: Alles ist auf bis ins Feinste komponiert, sowohl im Hinblick auf den Farbklang als auch auf die Kombination der verschiedenen Materialien und Muster.

Dass Nicola Hanke derartige Details als bildwürdig erachtet, hängt zweifellos auch mit der technischen Herausforderung zusammen, die deren malerische Umsetzung mit sich bringt. Bereits in der barocken Stilllebenmalerei hatten es sich Künstler zur Aufgabe gemacht, Gegenstände und Materialien so täuschend echt erscheinen zu lassen, dass der Betrachter glaubte, nach ihnen greifen zu können. In dieser Tradition steht auch Nicola Hanke, die mit ihrer Malerei den Dingen Leben einzuhauchen scheint und den Betrachter mit allen Sinnen anspricht. Wie die Stillleben des 17. Jahrhunderts mit ihrer versteckten Symbolik erscheinen auch Hankes Arbeiten rätselhaft, obwohl ihre Arrangements nicht aus exotischen Luxusgütern oder Kuriositäten, sondern überwiegend aus ganz gewöhnlichen Alltagsgegenständen bestehen. Gleichwohl verzichtet sie dabei nicht auf so manche klassische Stillleben-Requisite wie etwa Blumen, Perlen, Schmetterlinge, Totenköpfe oder Glas, die immer mal wieder bei ihr auftauchen und unschwer als Vanitas-Symbole aufgefasst werden können. Beispielsweise die sich vom Stoff ablösenden Perlen in o. T. (2009, Kat. Nr. XX) oder die Totenköpfe in o. T. (2008, Kat. Nr. XX), in denen sich die düstere Thematik der Vergänglichkeit auf makabre Weise mit dem hämischen Lächeln der Totenschädel verbindet. Wie bei den Barockmalern verbirgt sich in Nicola Hankes Bildern hinter dem schönen Schein der Oberfläche demnach so einiges, was sich erst auf den zweiten Blick erschließt.

Demnach geht das Interesse der Künstlerin weit über die bloß handwerklichen Aspekte hinaus. Denn Nicola Hanke malt nicht nur das, was sie sieht, sondern sehr viel mehr: Ihr künstlerisches Auge überwindet die reine Sichtbarkeit, bohrt sich durch die Oberfläche, dem „Davor“ der Gegenstände, und erforscht sowohl das „Dahinter“ als auch das „Dazwischen“. Durch die Kombination aus realistischer Darstellungsweise und der Beschränkung auf ein Detail gelingt es ihr dabei, etwas Geheimnisvolles in den Bildern mitschwingen zu lassen. Oftmals entsteht der Eindruck, dass die Ausschnitte Einblick in einen privaten Bereich geben, dass es um intime Details wie benutzte Handtücher, gebrauchte Bettwäsche oder getragene Kleidung geht. Dabei macht gerade der Aspekt des Verborgenen, des nicht Sichtbaren neugierig. Was befindet sich hinter dem Stoff? Was lässt sich durch die Maschen erahnen? Was ist hinter dem Fenster? Wer hat sich mit dem Handtuch abgetrocknet, und wer schläft in dieser Bettwäsche? Ungewollt wird der Betrachter zum Voyeur, zugleich wird seine Neugier geweckt. Er möchte mehr wissen zur Geschichte dieser Objekte, über deren Bedeutung oder deren Träger. So werden die Dinge auf einmal lebendig und beginnen, eine Geschichte zu erzählen – die Geschichte von dem Menschen, den wir auf den Bildern zwar nicht sehen, der aber in oder zwischen diesen Dingen spürbar ist. Das narrative Element entwickelt sich dabei häufig aus dem Aufeinandertreffen zweier Stoffe, zwischen denen Nicola Hanke Beziehungen herstellt, indem sie die Farben der beiden Stoffe einander annähert, das Muster des einen im anderen aufgreift oder sich die Stoffe gegenseitig berühren lässt. Doch trotz dieses harmonischen Einklangs findet keine vollkommene Verschmelzung statt, die Stoffe behalten ihre individuellen Charakteristika, wenn etwa gemusterte auf einfarbige und glatte Stoffe auf solche mit einer Struktur treffen (vgl. o. T., 2006, Kat. Nr. XX oder o. T., 2014, Kat. Nr. XX). Dadurch entsteht ein kommunikatives Element, das durchaus an die Beziehung zwischen zwei Menschen denken lässt.

Der akkuraten malerischen Komposition geht ein langwieriger Arbeitsprozess voraus. Sorgfältig arrangiert die Künstlerin zunächst das Motiv, stimmt die Gegenstände immer wieder neu aufeinander ab, bis sie für sie stimmig sind. Dann hält sie das Arrangement fotografisch fest und nutzt die Fotografie als Malvorlage. Der Malvorgang selbst ist schließlich der langwierigste Prozess: Akribisch arbeitet sich Nicola Hanke in Alla-Prima-Technik vor und verbringt mehrere Monate mit der Fertigstellung eines Bildes. Um die Stofflichkeit möglichst realistisch darstellen zu können, trägt sie die Ölfarbe ohne Untermalung in sehr dünnen Schichten direkt auf die Leinwand auf. Dadurch entsteht ein matter Effekt. Die Struktur der Leinwand spielt dabei eine wichtige Rolle, denn sie unterstützt die Materialität des dargestellten Objekts – Stoff auf Stoff sozusagen. Auf diese Weise erzielt die Künstlerin ein hohes Maß an Realismus, einen Trompe-l’œil-Effekt. Täuschend echt erscheint das Material, sodass man es am liebsten anfassen würde, um sich zu vergewissern, dass es sich wirklich so anfühlt, wie man es sich vorstellt. Haptik ist demnach ein wesentlicher Aspekt der Arbeiten Nicola Hankes.

Diese Maltechnik hat aber auch in anderer Hinsicht Konsequenzen für den Betrachter: Sie zwingt ihn zu einer verlangsamten Wahrnehmung. Dadurch können Erinnerungen und Gefühle, die im Alltag oft unbewusst bleiben, an die Oberfläche gelangen. Wir werden an flüchtige Momente, an ein bestimmtes Gefühl, an einen Geruch, an einen Ort erinnert. Solche Erinnerungen können ganz frisch sein, aber auch schon weit zurückliegen, vielleicht aus der Kindheit stammen. Erinnerungen stellen auch für Nicola Hanke häufig eine Inspirationsquelle für ihre Bilder dar: Oft wählt sie Motive aus, die etwas in ihr auslösen oder sie an etwas erinnern. Der alltägliche Erfahrung, dass solche Erinnerungen durch einen bestimmten Anblick, einen Geruch oder Ort evoziert werden und sich doch schnell wieder verflüchtigen, setzt Nicola Hanke den langen Malprozess entgegen, durch den der Flüchtigkeit solcher Erinnerungen Dauerhaftigkeit verliehen wird. Durch den bewussten Verzicht auf Bildtitel und die Beschränkung auf die fein ausgearbeiteten Details vermeidet sie es allerdings, dass ihr subjektives Empfinden, ihre persönliche Erinnerung in den Vordergrund tritt. Vielmehr wird der Betrachter dazu eingeladen, die in den Bildern vermittelte Stimmung auf sich wirken zu lassen und dadurch eigene Erinnerungen zu (re-)aktivieren.

In den letzten Jahren hat Nicola Hanke ihre Erforschung von Oberflächen konsequent weiterentwickelt, etwa in o. T., 2010 (Kat. Nr. XX), dem zweiten in einer Reihe von „Glasbildern“. Hier wird deutlich, dass es der Künstlerin nicht nur um ästhetische oder haptische Eigenschaften von Oberflächen geht, sondern sie diese auch im Sinne von Begrenzungen verstanden wissen will: Eine Oberfläche definiert eine Raumgrenze, bei der etwas endet und etwas Neues beginnt. Gleichzeitig versperrt sie unsere Sicht und stellt die Frage nach dem Dahinter. Im Gegensatz zu den Stoffen, die die Sicht auf ein Dahinter völlig verdecken, lassen die Fensterscheiben nunmehr partiell Durchblicke zu. Wie im Falle von o. T. (2010, Kat. Nr. XX), in dem der opake Charakter des Stoffes von der Halb-Transparenz des Glases abgelöst wird. Aber eben so, dass das Dahinter nicht genau zu erkennen, allenfalls zu erahnen ist. Abgefangen wird der Blick wiederum von dem Fenster, das sich zwischen dem Davor – dem Betrachter – und dem Dahinter – den undefinierbaren Objekten – befindet. In diesem Fall handelt es sich um ein Fenster aus historischem Sternchenglas, dessen Anblick die Künstlerin gefesselt hat. Durch seine ornamentale Struktur ergibt sich ein ganz besonderer Eindruck beim Blick durch die Scheibe. Die Assoziation mit Eisblumen liegt hier auf der Hand und wird durch die zart-kühle Farbgebung noch unterstrichen.

In anderen Fensterausschnitten werden Glasbausteine zu Protagonisten (o. T., 2013, Kat. Nr. XX……) – ein Material, das dem Konzept der Künstlerin sehr entgegenkommt, weil es die Ambivalenz von Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit verkörpert: Zwar ist es lichtdurchlässig, verhindert aber durch seine besondere Struktur und die damit einhergehende verzerrende Optik den freien Blick auf das Dahinter. Wieder also verfangen sich der Blick und die Gedanken des Betrachters irgendwo zwischen den Schichten, und er ist aufgefordert, sich mit mehr als nur dem Sichtbaren zu beschäftigen.

In der motivischen Entwicklung von den Stoffen zu den Fenstern lässt sich Nicola Hankes Tendenz hin zu einer reduzierteren Bildsprache ablesen. Mehr und mehr entfernen sich die Bilder von der Gegenständlichkeit, werden abstrakter – zum einen durch die zunehmende Konzentration auf Farben und Formen und zum anderen durch den Verzicht auf Räumlichkeit. Die Bildtiefe beschränkt sich bei manchen Motiven auf wenige Zentimeter, während bei anderen eine Tiefenwirkung lediglich durch Spiegelungen erzeugt wird. Im Unterschied zu den Stoffbildern auf Leinwand, in denen das dargestellte Material mit dem Material des Bildträgers auf faszinierende Weise korrespondiert, leben die Glasbilder von dem Gegensatz derselben – eine eigentlich glatte, glänzende Oberfläche trifft auf einen rauen, matten Grund.

Nicola Hanke sucht die Schönheit im Unscheinbaren. Selbst in einem Handtuch entdeckt sie ästhetische Reize, taucht in seine Farbnuancen ein und erforscht jede kleine Faser. Durch die Fokussierung auf einen Ausschnitt gelingt es ihr, den Makrokosmos im Mikrokosmos aufzuspüren. Denn tatsächlich lässt sich das große Ganze im Detail finden, wenn man nur genau hinschaut und zwischen den Zeilen liest.

Nicola Hanke: Blickfänger

Anna Mascher-Wondrak

Eine Oberfläche kann viele Eigenschaften haben: Je nach Materialität kann sie glatt oder rau, weich oder hart, matt oder spiegelnd sein – eine Aufzählung, die sich nach Belieben erweitern ließe. Jahrelang setzte sich Nicola Hanke malerisch intensiv mit der Oberflächenstruktur verschiedener Stoffe und deren emotionaler Wirkung zunächst auf sich selbst und in einem zweiten Schritt auf andere Betrachter auseinander. Während eines Stipendiums in Stettin, Polen (2009), begann sie, die abgebildete Materialität zu erweitern: Statt den Blick weiterhin direkt und ausschließlich auf verschiedene Stoffe zu richten, kam nun eine weitere Komponente mit ins Bild: Glas. Nicola Hanke unternahm in Stettin viele Streifzüge durch die fremde Stadt und schaute hier und da durch Fenster auf Vorhänge, an denen ihr Blick hängenblieb. Fenster haben verschiedene Funktionen: Sie bringen nicht nur Tageslicht in das Innere eines Gebäudes, sondern bilden darüber hinaus auch die Grenze zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich. Die Scheibe trennt dabei den Außenraum vom Innenraum, Vorhänge verbergen und schützen vor dem Blick von außen, lenken diesen aber gleichzeitig auch nach innen und verraten zudem einiges über den Geschmack und die Lebensgewohnheiten der Bewohner.

So zeigt das erste Glasbild (Abb. xx) drei verschiedene, nebeneinander hängende Vorhänge im Fenster eines Geschäfts. Nicola Hanke näherte sich diesem Fenster von außen und fing den Blick ein. Stoff und Glas bilden dabei auf unterschiedliche Art eine Barriere, die Fensterscheibe liegt als starre, durchsichtige Schicht vor dem flexiblen Stoff. Auch wenn die Scheibe hier ihre Umgebung nicht spiegelt und dadurch auch nicht direkt sichtbar ist, fungiert sie als unsichtbare Grenze und ist trotz ihrer scheinbaren Immaterialität in der Wiedergabe für den Betrachter spürbar.

In der weiteren Entwicklung der Glasbilder tauchen immer häufiger Reflexe und Glanzpunkte direkt auf dem Glas auf. Neben dem unmittelbaren Blick auf die Vorhänge sieht man in den Scheiben nun auch schemenhaft die Spiegelung der gegenüberliegenden Hausfassaden, durch die der Betrachter Aufschluss über die Umgebung gewinnt und das Gesehene besser verorten kann. Dabei wird unser Blick durch die Reflexion wieder zurück in die Umgebung geworfen, aus der wir das Fenster betrachten. Am Bildrand wird zudem verfallenes Mauerwerk erkennbar, das die Fenster umschließt, manchmal auch der Staub und Dreck der Straße, der an den Scheiben und Fensterrahmen klebt und die Vergänglichkeit des eingefangenen Moments zusätzlich unterstreicht.

Durch ihr Interesse an unterschiedlichen Graden der Transparenz begann Nicola Hanke, auch andere Arten von Fensterscheiben zu malen. Dabei geht der Blick, je nach Standpunkt der Künstlerin, von außen nach innen, von innen nach außen oder aber wird von der Spiegelung zurückgeworfen. Neben der Blickrichtung sind aber auch hier die unterschiedlichen Oberflächen von Bedeutung, wie insbesondere bei gemusterten Scheiben deutlich wird: So erinnert das dünne geschliffene Sternchenglas eines Badezimmerfensters (Abb. xxx) an Eisblumen, während alles dahinter Liegende in viele kleine Fragmente aufgesplittert wird. Diese Bilder, bei denen Hanke nah an das Glas herangeht und der gezeigte Bildausschnitt detaillierter wird, wirken wie ein pointilistisch komponiertes Farbenmeer. Besonders in diesen Arbeiten transformiert die Künstlerin den Begriff „Ober-Fläche“ in ein Kaleidoskop aus Farbnuancen, in denen das Malerische selbst wieder mehr in den Vordergrund tritt. Wie auch in ihren anderen Bildern dominiert hier die Suche nach dem perfekten Farbklang, in dem die einzelnen Teile des Bildes in einem Spannungsverhältnis stehen, das Bild als Ganzes aber dennoch einen harmonischen Gesamteindruck hinterlässt.

In ihrer weiteren Bearbeitung der Themen Glas, Schichten und Spiegelung beschäftigt sich Nicola Hanke auch mit Glasbausteinen. Sie dienen im Innen- und Außenraum sowie an Übergangsorten wie Hausfluren hauptsächlich dazu, Licht in einen Innenbereich zu bringen. Nicola Hanke zeigt Detailausschnitte dieser wuchtig-tiefen Glasbausteine. Auch hier ist die Vielschichtigkeit des Materials zentral: Nach einem Blick auf die Oberfläche sieht man, wie sich das Licht auch in tiefer liegenden Lagen fängt und wieder zurückgeworfen wird. Man hat ferner das Gefühl, die Strukturen der Fugen, die manche dieser Glasbausteine einfassen, beinahe ertasten zu können. Wie bei den Stoffbildern erforscht Nicola Hanke hier kontinuierlich die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen. Milchig-blaue und braune Glasbausteine formen Wellen, Blasen, kleine Hügel und Täler, zusammengesetzte glatte und gebrochene Glasbausteine reflektieren verschwommen ihre verzerrte Umgebung. Durch die Beschränkung des Bildraums fokussiert sich der Blick des Rezipienten – das Dargestellte, ein Stück Banalität und Alltag aus zum Teil vergangenen Bauzeiten, wird aufgewertet und erweckt den Wunsch nach längerer Betrachtung. Die strukturierte und bedachtsame Arbeitsweise der Künstlerin spiegelt den langwierigen Malprozess wider – die glatte, lasierende Alla-Prima-Ölmalerei an einem Bild kann bis zu sechs Monaten dauern – und führt zugleich zu einer Verlangsamung des Blicks beim Betrachter.

Wie auch die Stoffbilder geben die Glasbilder kein fotorealistisches Abbild der Wirklichkeit wieder. Vielmehr zerlegt Nicola Hanke etwas Vertrautes in viele Einzelteile – es wird schemenhaft, wie eine flüchtige Erinnerung. Wir erahnen etwas hinter der Oberfläche, das wir zu (er-)kennen glauben. Somit bieten uns die Arbeiten von Nicola Hanke eine Projektionsfläche für die eigenen Wünsche und Sehnsüchte und die Möglichkeit, sich beim Betrachten ganz auf die Schönheit und Flüchtigkeit des Moments zu konzentrieren.

Aufdecken durch zudecken

Rolf Thiele zu den Bildern von Nicola Hanke

Was eigentlich zeigt uns Nicola Hanke in ihren Bildern? Was wir sehen, kennen wir schon, so glauben wir zumindest. Wäre da nicht das Detail, der Ausschnitt. Aber auch dies ist in der konventionellen Kunst ohnehin die Eigenschaft von Bild, es ist Ausschnitt. Der still gestellte Teil einer fließenden, sich ständig verändernden Realität. Auch deshalb heißt es, ein Bild kommt nicht nach dem und nicht dem nach, wovon es Bild ist. Nicola Hanke ist offensichtlich bemüht, die Differenz zwischen fotografiertem Bild und gemaltem Bild so gering wie möglich zu halten. Betrachten wir eines der jüngeren Bilder, welches den Blick auf einen Teil einer so genannten Tages- oder Überwurfdecke bannt. Eine gemusterte (Häkel-) Decke mit sehr geringer Durchlässigkeit zwischen den Maschen auf das Verdeckte. Die Bildsensation ist hier nicht das Gezeigte, sondern das Verborgene. Der abgebildete dingliche Sachverhalt bannt zwar, nicht zuletzt ausgelöst durch solide, handwerkliche Genauigkeit, den Blick für einen Anfangsmoment, löst sich aber dann davon ab in Richtung auf das Nichtgezeigte.

Der in jeder ästhetischen Erfahrung notwendige erste Schritt vom Ding zum Unbedingten hat eingesetzt und begünstigt, ermöglicht damit die Bildung des Zwischenraumes, in welchen die Bedeutung mittels Interpretationsarbeit einwandern kann. Durch die Strategie der Negation wird die Thematisierung der Malerei im Kontext von Kunst betrieben. Aufdecken durch Zudecken, und dies sowohl auf der Ebene der Motive, als auch auf der Ebene der Art und Weise der Malerei. Affirmation gegenüber der Malerei und der durch sie gezeigten Motive schlägt um und löst sich auf in Negation.

Warum schlägt das Nichtgezeigte gerade hier als Kunst zu Buche? Der ästhetisch-künstlerische Effekt tritt ein, weil der Zusammenhang zwischen Zeigen und Verbergen ins Bewusstsein tritt. Es entsteht so Fragwürdigkeit. Und Kunst kommt in Frage. Das Ästhetische ist der Gewinn einer Anschauung von etwas, was in Frage kommt und gleichzeitig hätte als banal und wertlos übersehen werden können. Wo zuvor der Teil einer alltäglichen Überwurfdecke war, gemalt als ginge es darum, das Foto zu überbieten, bildet sich die Anmutung eines privaten Verstricktseins. Es entsteht der Bezug zwischen einem Objekt und einem Subjekt, den man durchaus als eine individuelle Bedeutsamkeit oder als die Ordnung der Interpretation bezeichnen kann.

Die im Bildmotiv gezeigte Tages- oder Überwurfdecke hört auf, den Blick des Betrachters zu halten, dadurch verlässt der einzelne die Bezirke seiner und des Bildes Alltäglichkeit und tritt in eine selbst geschaffene Außerall- täglichkeit. Auslegung macht aus den gezeigten Dingen der Alltagswelt, dem besonderen Allgemeinen, Kunst und somit das allgemeine Besondere. Auslegung tritt vor allem dann auf den Plan, wenn die gezeigten Dinge einen Begründungs-zusammenhang aus sich heraus verweigern. Die Bilder von Nicola Hanke funktionieren nicht mehr nach dem Prinzip des besonderen Werkes, sondern nach dem Prinzip der Auslegung. Sie bedient sich der Phänomene der Alltagswelt und transformiert sie durch ihre Malweise in den Anspruch auf Besonderheit. Sie produziert nicht neue Dinge für ein altes, dem Alltag entstammendes Sehen, sondern produziert ein neues Sehen für die alten, bekannten Dinge – und fordert damit die Betrachtenden auf, sich ihrem Sehen anzuschließen. Sie sendet einen besonderen Blick, wahrscheinlich wissend, dass wir nur das sehen, was uns anblickt. Und wenn mich etwas anblickt, kann ich diesem gegenüber nicht unempfindlich bleiben. Ich werde in eine Empfindung gestoßen, eine Empfindung, die ich mit Selbstwissen gleich setzen möchte.

RT Mai 2008